Religion – Spiritualität – Weltanschauung: Eine religionswissenschaftliche Standortbestimmung


Die Frage der Sinnfindung und Lebenszufriedenheit, die Rolle „spiritueller“ Erfahrungen und der persönliche Bezug des Klienten bzw. der Klientin zu religiösen Bildern, Praktiken und Gemeinschaften sind zentrale Themen der Lebens- und Sozialberatung (LSB). Aus umfassenden Sinndeutungen gespeiste Orientierungen sind intensiv an der Entfaltung von emotionalem Halt und sozialer Sicherheit eines Menschen beteiligt. Insbesondere in Erfahrungen der Krise, beim Umgang mit Krankheit, Tod, Trauer, sowie in Übergangsphasen, in denen lebensverändernde Entscheidungen anstehen, treten sowohl bewusste als auch latent vorhandene Sinnkonstellationen im Individuum zutage, die im Rahmen der Beratung offen angesprochen, gemeinsam reflektiert und/oder infrage gestellt werden können.

Lebens- und SozialberaterInnen stehen häufig vor der Herausforderung, ihre KlientInnen diesbezüglich in Fragen zu begleiten und Handlungsoptionen aufzuzeigen, ohne jedoch in diesem Prozess ihr eigenes Sinn- respektive Wertesystem manipulativ zu übertragen. Andererseits liegen den zentralen Methoden der LSB selbst – sowohl dem philosophischen Dialog als auch den Prinzipien der Beratungsarbeit – durchaus konkrete Menschenbilder, Transzendenzbegriffe und Verständnisse von „Spiritualität“ zugrunde. Um sowohl für säkular-humanistisch als auch konfessionell orientierte und nicht-konfessionell religiöse Personen anschlussfähig zu bleiben, müssen diese Begriffe und Annahmen reflektiert werden. Die individuelle Sinnverankerung der KlientInnen innerhalb der Vielfalt heutiger Lebensmodelle und Deutungsmuster erfassen zu können, wird zunehmend zu einer notwendigen Kompetenz in der Tätigkeit der LSB. Zur ganzheitlichen Wahrnehmung der KlientInnen zählt das Verständnis ihrer jeweiligen Sinnhorizonte und deren Einbindung in Tradition, Gemeinschaft oder kulturellen Kontext.

Mittlerweile sind jedoch die Auswahlmöglichkeiten in Bezug auf Sinnorientierungen in Österreich und der westlichen Welt so groß, dass kein einzelner Experte das gesamte Angebot der religiösen Gegenwartskultur im Detail überblicken kann. Zudem ist die Beleuchtung des Feldes aus unterschiedlichen Perspektiven unabdingbar, um die Vielschichtigkeit des Gegenstandes in angemessener Weise zu würdigen. Das sachgerechte Verstehen jener Orientierungen bedarf eines Basisvokabulars, um das Diskursfeld konsensuell abzustecken. Begriffe wie „Religion“, „Spiritualität“ und „Weltanschauung“ müssen in ihrer Komplexität und gegenseitigen Verflechtung, erörtert werden, um dadurch eine theoriegeleitete Praxiskompetenz mit Blick auf das einschlägige Tätigkeitsfeld innerhalb der LSB zu ermöglichen.       

Die Religionswissenschaft ist jene akademische Disziplin, die sich mit der geschichtlichen, systematischen und empirischen Erforschung von religiösen Vorstellungen, Praktiken und Vergemeinschaftungen beschäftigt. Sie bedient sich einem breiten Spektrum an Methoden um religiöse Ausdrucksformen eingehend in ihren historischen, kultur- und sozialwissenschaftlichen Aspekten zu analysieren. Der aus dem Projekt resultierende Reader verfolgt einen zeitgemäßen und multiperspektivischen Ansatz. Er soll Lebens- und SozialberaterInnen eine religionswissenschaftlich akkurate Darstellung der Grundbegriffe zur Hand geben und dient sonach als zuverlässige Referenzquelle sowie Ausgangspunkt weiterführender methodischer und inhaltlicher Überlegungen.