Forschungsschwerpunkte

 

Asiatisch Diaspora-, Alternativ- und Neureligion in Mitteleuropa und Österreich
Lukas K. Pokorny

Als gebürtiger Wiener (und seit einiger Zeit Wahlniederösterreicher) bin ich naturgemäß fasziniert von der stetig wachsenden Vielfalt der religiösen Landschaft Österreichs. Um ein speziell dynamisches Segment dieses Forschungsbereichs – i.e. asiatische Diaspora-, Alternativ- und Neureligion – in aller Sorgfalt zu erschließen, nutze ich eine reiche Palette an sozialwissenschaftlichen (qualitative Interviews etc.) und historischen Methoden. Mich interessieren dabei sowohl historische Formierungsprozesse als auch die gegenwärtige Situation jener Gruppen und Traditionen, weshalb meine Forschung als wesentlicher Beitrag zu einer längst überfälligen Sichtbarmachung der religiösen Diversität in der Geschichte und Gegenwart Österreichs fungiert. Im Zuge der historischen Annäherung, versuche ich auch speziell die Komponente einer europäischen Transnationalisierung von Missionstätigkeit ausgehend von Österreich zu erfassen. Eine Bestandsaufnahme der historischen Dimension beinhaltet gleichermaßen eine Auseinandersetzung mit Prozessen kultischer und doktrineller Glokalisierung, sowie deren Erscheinungsbild heute. Nebst entsprechender länderspezifischer Fallstudie bin ich um eine je individuelle Einbettung der spezifischen historischen wie doktrinellen Gemengelage im Lichte eines globalen und insbesondere herkunftsorientierten Gesamtkontexts bemüht. In der Begegnung mit den ausgewählten Bewegungen/Traditionen folge ich einer religionswissenschaftlichen Herangehensweise, mit der Absicht ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis zu schaffen in dem Forscher und Informant(en) sich auf Augenhöhe befinden. Die Forschung erfolgt zuvörderst in deskriptiver Form, anerkennt daher die enorme Wichtigkeit sich entsprechend dem religionswissenschaftlichen Selbstverständnis höchstmöglicher Objektivität, unsachlichen Werturteilen gegenüber dem Untersuchungsgegenstand zu enthalten. Meine Forschungsleistungen in diesem Bereich erscheinen hauptsächlich in der von mir in Zusammenarbeit mit Hans Gerald Hödl herausgegebenen religionswissenschaftlichen Reihe Religion in Austria und werden daher verstärkt einer internationalen Leserschaft zugeführt. In bisherigen Projekten habe ich mich intensiv mit Kōfuku no Kagaku („Happy Science“), Sōka Gakkai und, speziell, der Vereinigungsbewegung befasst. In Vorbereitung sind zurzeit Artikel zu FIGU (Freie Interessengemeinschaft für Grenz- und Geisteswissenschaften und Ufologiestudien), Naikan, Nipponzan Myōhōji (mit Isabelle-Prochaska-Meyer), neosufistischen Gruppen (mit Sara Kuehn), koreanischen protestantischen Gemeinschaften (mit Sang-Yeon Loise Sung), Share International, Śrī Śrī Rādhā Govinda Gaudīyā Maṭh (mit Birgit Heller und Hans Gerald Hödl), Wŏnhwado und die Vereinigungsbewegung.

Die Erfindung frühchristlicher anti-paganer Diskurse
Nickolas P. Roubekas

Diese Forschung zielt darauf ab, zu untersuchen wie christliche Autoren aus dem zweiten und dritten Jahrhundert auf pagane Religionstheorien reagierten respektive sich diese zu eigen machten um denjenigen Zeitgenossen zu trotzen, welche sich den traditionellen Religionen verschrieben. Anstelle der alten Prämisse, dass der christliche Diskurs nur eine theologische Antwort auf Angriffe seitens des "Heidentums" gewesen sei, basierend auf bloß theologischen Grundlagen, behaupte ich in diesem Projekt, dass die frühen christlichen Apologeten vielmehr daraufhin gearbeitet haben, den Glauben der christlichen Gemeinschaft zu stärken, indem sie sich dogmatischer und theoretischer Prinzipien bedienten, welche sowohl aus dem "paganen" wie dem neuformierten christlichen Milieu stammten. Auf diese Weise haben Autoren wie Justin der Märtyrer, Athenagoras von Athen, Klemens von Alexandrien und andere eine neue Verteidigungs- und Argumentationslinie entwickelt, die letztlich einer Theoretisierung von Religion als Kategorie näher stand, als die bloße Erhebung des Christentums als einzig "wahre" Religion.

Disziplinäre Bahnen der Erforschung antiker Religionen
Nickolas P. Roubekas

Meine gegenwärtige Forschung widmet sich der disziplinären Kluft, die im aktuellen Fachdiskurs zu antiken Religionen merklich ist. Einerseits wurde das Feld durch die detaillierten Arbeiten von Altphilologen und Althistorikern bereichert, andererseits hat die Vormachtstellung nordamerikanischer wie nordeuropäischer postmoderner Zugänge zur Kategorie "Religion" wichtige aber oft auch durchaus "gefährliche" Aspekte zutage gefördert, welche letztlich den gesamten Bereich Religionswissenschaft maßgeblich betreffen. Dennoch erscheinen diese beiden Forschungsfelder in ihren disziplinären Grenzen voneinander weitestgehend isoliert. Meine diesbezügliche Forschung siedelt sich daher am Schnittpunkt der beiden Disziplinen an, um eine methodische wie theoretische Wechselseitigkeit zu befördern, welche ob des Mangels an Interdisziplinarität bislang auf der Strecke blieb.


Globale Religionsgeschichte
Julian Strube

Meine aktuelle Forschung folgt grundsätzlich dem Ansatz einer globalen Religionsgeschichte, den ich in erster Linie in meiner rezent abgeschlossenen Arbeit über bengalisches Tantra im 19. und 20. Jahrhundert operationalisiert habe und momentan in neuen Projekten weiter vertiefe. Bereits veröffentlichte Resultate dieses Ansatzes können unter anderem in von mir mitherausgegebenen Sammelbänden zu Theosophy across Boundaries (mit Hans Martin Krämer, Japanologie, Heidelberg) und New Approaches to the Study of Esotericism (mit Egil Asprem, Religionswissenschaft, Stockholm) nachgeschlagen werden. In Kombination mit Quellenarbeit leiste ich dabei einen Beitrag zu mehr theoretischen und methodologischen Debatten, insbesondere durch eine sich derzeit im Druck befindende Sonderausgabe über „Global Religious History“ für Method & Theory in the Study of Religion (mit Giovanni Maltese, Theologie Hamburg). Hauptziele dieser Bestrebungen sind die Entwicklung eines systematischen globalhistorischen Ansatzes in der Religionswissenschaft sowie darüber hinaus reichende Kollaborationen mit anderen Disziplinen und Forschungsfeldern.


Globale Verflechtungsgeschichte der Religionswissenschaft
Julian Strube

Es ist inzwischen wohlbekannt, dass die Entstehung der vergleichenden Religionsforschung (comparative religion) im 19. Jahrhundert nur unter der Berücksichtigung globaler Austauschprozesse verstanden werden kann. Der Fokus der Forschung ruht jedoch bisher fast ausschließlich auf „westlichen“ Akteuren, vor allem aus Europa und Nordamerika. Durch meine laufende Arbeit möchte ich zeigen, dass comparative religion und die sich daraus entwickelnde Religionswissenschaft aktiv und bedeutend von „nicht-westlichen“ Akteuren geprägt wurde: Die Entstehung der Religionswissenschaft muss demzufolge aus der Perspektive einer globalen Verflechtungsgeschichte untersucht werden. Dies demonstriere ich anhand des Austauschs zwischen bengalischen Hindu-Reformern, christlichen Unitariern, Orientalisten und Theosophen im 19. Jahrhundert. Die vielseitigen Teilnehmer an diesen Diskursen trugen maßgeblich zu Verhandlungen der Bedeutung von Religion und ihrer Beziehung zu Wissenschaft und Philosophie bei, aber auch zu damit verbundenen philologischen Forschungen, die von Friedrich Max Müller prominent als science of religion oder Religionswissenschaft genannt wurden. Müller korrespondierte dabei intensiv mit Intellektuellen aus Nordamerika, insbesondere mit Vertretern von Unitarismus und Transzendentalismus; aber auch mit indischen Intellektuellen, vor allem mit Vertretern des hindu-reformerischen Brahmo Samaj. Auch Mitglieder der esoterischen Theosophischen Gesellschaft trugen signifikant zu jenen Debatten bei. Das Projekt wird somit nicht nur die Wichtigkeit globaler Verflechtungen für ein Verständnis dieser Kontexte aufzeigen können, sondern auch die Unklarheit von Trennlinien zwischen hinduistischen und christlichen Reformern, Orientalisten, Theologen und Esoterikern. Es wird daher einerseits neue Einblicke in die Disziplingeschichten von Theologie und Religionswissenschaft ermöglichen, andererseits aber auch in grundsätzliche Themen in Bezug auf Religion, Kolonialismus, Moderne und Historiographie.

Interreligiöse/spirituelle Dimensionen von Palliative Care bzw. Spiritual Care
Birgit Heller

Palliative Care nimmt sich der körperlich-psychisch-sozial-spirituellen Dimensionen des schwer kranken/sterbenden Menschen und der betroffenen Angehörigen an. In den multireligiösen modernen westlichen Gesellschaften hat die christliche Krankenhausseelsorge ihren vormals unumstrittenen Platz verloren. Der christlichen Spiritualität kommt in der Hospizbewegung und in der Palliative Care dennoch eine große Bedeutung zu, nicht zuletzt weil die Hospizidee selbst stark christlich geprägt ist. Buddhistische Traditionen spielen in den westlichen Gesellschaften derzeit insofern eine besondere Rolle, als sie in vielen Fällen eine Brücke zwischen den Ebenen einer konfessionell gebundenen und einer individuellen Spiritualität zu bilden scheinen. Neben der Sterbebegleitung der institutionalisierten religiösen Traditionen sind jedoch auch zahlreiche Formen einer spirituellen Begleitung von Sterbenden entstanden, die sich außerhalb der organisierten Religionen befinden. Einen Spezialaspekt stellen die bislang wenig beachteten Dimensionen der spirituellen Begleitung und Unterstützung der Verstorbenen dar. Diese Totensorge ist in vielen Facetten in den religiösen Traditionen verankert, spielt aber auch in den modernen säkularen Gesellschaften eine Rolle Spiritual Care ist ein modernes Phänomen, das nicht nur in der palliativen Betreuung, sondern generell im Gesundheitsbereich relevant ist. Der Begriff wird sowohl für die konfessionelle christliche Seelsorge im modernen (häufig interreligiös erneuerten) Gewand, für die traditionelle Begleitung seitens verschiedener Religionen (wie Islam, Judentum etc.), aber auch die spirituelle Begleitung jenseits der etablierten Traditionen verwendet. Spiritual Care ist aus religionswissenschaftlicher Perspektive auch deshalb besonders interessant, weil sich hier die Entwicklungen der religiös-spirituellen Gegenwartskultur spiegeln. Ich habe eine breite Expertise in diesem Feld, weil ich 15 Jahre in einem Interdisziplinären Universitätslehrgang für Palliative Care unterrichtet und von den verschiedenen Professionen selbst viel gelernt habe sowie bis heute in der Aus- und Weiterbildung tätig bin. Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit diesem Bereich hat sich bereits in zahlreichen Publikationen niedergeschlagen. Einzelne Detailaspekte werde ich auch in Zukunft bearbeiten, zumal sich eine inhaltliche Brücke zum Themenbereich Nahtod-Erfahrungen spannen lässt, insofern diese Phänomene in ihrer Relevanz für Palliative/Spiritual Care in jüngster Zeit stärker wahrgenommen werden (Allan Kellehear; Simon Peng-Keller).

Leben, Altern, Tod und Überempirisches im Neokonfuzianismus
Lukas K. Pokorny

In diesem Forschungsbereich widme ich mich einem Feld, dass bisher nur verhältnismäßig begrenzte Aufmerksamkeit im Fachdiskurs erhalten hat, namentlich die neokonfuzianische Lesart zu Themen wie Leben, Altern, Tod und das „Überempirische“, sowie die daraus folgenden Implikationen für eine „konfuzianische Spiritualität“. In einem ersten Schritt konzentriert sich meine Forschung auf den umfangreichen Lehrkorpus eines der bedeutsamsten Exponenten des (koreanischen) Neokonfuzianismus, Yi I (Yulgok, 1536–1584). Seine Doktrin (yulgokhak 栗谷學) ist in vielerlei Hinsicht repräsentativ für den Höhepunkt Chéng-Zhū-konfuzianischer Systematisierungsanstrengungen. Meine diesbezügliche Forschungstätigkeit erfolgt in zwei Stufen. Zunächst widme ich mich der Erstellung einer kritischen Edition, Übersetzung und Annotation einschlägiger Schriften Yulgoks. Hiernach beabsichtige ich eine systematische Auseinandersetzung mit ausgewählten Themen auf Basis des zuvor bearbeiteten Textfundus. In einem zweiten Schritt ist geplant die Forschung auf andere Vertreter neokonfuzianischen Denkens auszuweiten um einen wesentlich umfassenderen Pool an Texten und doktrinellen Schlagrichtungen erfassen zu können. Die annotierten Übersetzungen, eingebettet im Rahmen von Parallelkorpora, werden ausführlich eingeleitet und kontextualisiert. Der auf diese Weise zugänglich gemachte Diskurs ermöglicht weitergehende komparative Studien und eröffnet durchaus praktische Implikationen, etwa mit Blick auf eine konfuzianisch-geprägte Gesundheitspflege. Nach neokonfuzianischer Tradition entwickelt sich ein Argumentationsstrang in diesem Themenkreis gemeinhin in Konfrontation mit Vorstellungen und Praktiken weltanschaulicher Mitbewerber, einschließlich Buddhismus, Daoismus oder Volksreligiosität wie beispielhaft musok. Das Erschließen der neokonfuzianischen Verständnislage gegenüber lebensweltlich so zentralen Themen wie Leben, Altern und Tod aber auch der Umgang mit dem „Überempirischen“ dient nicht allein einer besseren Kenntnisbildung neokonfuzianischer Sinnidentität, sondern offenbart neue Blickwinkel auf die emische Wahrnehmung und Kritik vis-à-vis dem umgebenden „heterodoxen“ Sinnangebot. Dies ermöglicht sonach eine Rekonstruktion des weltanschaulichen und kultischen Milieus – wenngleich mit apologetischen Vorzeichen – jenseits der selbstdemarkierten Orthodoxie. Zurzeit arbeite ich an diversen annotierten Übersetzungen, u.a. von Yulgok’s Suyo ch’aek 壽夭策 (Traktat über Langlebigkeit und frühzeitigen Tod), Sasaeng kwisin ch’aek 死生鬼神策 (Traktat über Tod und Leben, Totengeister und Geister), Sinsŏn ch’aek 神仙策 (Traktat über „Unsterbliche“) und Ŭiyak ch’aek 醫藥策 (Traktat über Medizin).


Millenarismus und neue religiöse Bewegungen Ostasiens
Lukas K. Pokorny

In diesem Forschungsbereich arbeite ich an der Schnittstelle von Religionswissenschaft und Ostasienwissenschaften respektive Millenarismusforschung und Neureligionenforschung. Speziell in jüngerer Zeit ist ein merklich wachsendes Interesse an jenem Knotenpunkt von Millenarismusforschung und Neureligionenforschung zu beobachten. Während die Bedeutung des Millenarismusaspekts – d.h., die Vorstellung eines allumfassenden, heilstiftenden Wandels der gegenwärtigen Weltordnung – neuer Religiosität Ostasiens im akademischen Diskurs zwar weitestgehend akzeptiert ist, mangelt es bisher an einer substantiellen systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Meine Forschung beabsichtigt diesem Desiderat zu entsprechen. Vor diesem Hintergrund soll demnach eine erste umfassende (systematisch-vergleichende) Analyse millenaristischer Dynamiken einer größeren Zahl eminenter neuer religiöser Bewegungen Ostasiens erfolgen, fußend auf sorgfältiger textkundlicher Bearbeitung originalsprachlicher Quellen (Japanisch, Koreanisch, Modern- und Klassischem Chinesisch sowie Vietnamesisch). Ich verstehe jene millenaristische Dimension als das doktrinelle Leitmotiv und den ideologischen Legitimierungsimpuls eines vielgestaltigen säkularen (i.e., sozialen, politischen und ökonomischen) Handelns neuer religiöser Bewegungen Ostasiens. Ausgehend von einer bestimmten Einfassung des Millenarismuskonzepts (grundgelegt durch die Arbeiten Norman Cohns/Yonina Talmon-Garbers und Catherine Wessingers), eruiere ich zunächst im Detail das je gruppenspezifische Millenarismusnarrativ, wobei die darin üblicherweise betont artikulierten ethnozentrischen Topoi speziell in Augenschein genommen werden. Die Analyse verhandelt ferner die distinkten soteriologischen Argumentationslinien, die gemeinhin gespeist sind durch die Morphologie des weltanschaulichen und soziokulturellen Entfaltungskontexts. Nach Abschluss einer ausreichenden Anzahl an Einzelfallstudien, beabsichtige ich das erfasste millenaristische Themenspektrum ostasiatischer Neureligiosität mit Rückgriff auf die theoretischen Überlegungen von Wessinger et al. („katastrophischer Millenarismus“, „avertiver Millenarismus“, „progressiver Millenarismus“) zu systematisieren, mit dem Ziel den typologischen Raster noch engmaschiger zu gestalten und mithin die Klassifizierung millenaristischer Ausdrucksarten zu verfeinern. Jene umfassende, philologisch fundierte, vergleichende Darstellung der millenaristischen Anatomie ostasiatischer Neureligiosität soll in der Folge auch einen wesentlichen theoretischen Beitrag für die Millenarismusforschung bedeuten. Meine Forschung in diesem Bereich soll im Allgemeinen den Wissensstand zu ostasiatischer Neureligiosität prägnant erweitern, auch eingedenk der Tatsache, dass zahlreiche Gruppierungen aufgrund ihrer anhaltenden Internationalisierung neben einer unzweifelhaften regionalen Einflusssphäre auch ein dezidiert globales Wirkmoment aufweisen. Diverse Artikel sowie eine Monographie sind zu diesem Forschungsgebiet in Vorbereitung. Was das breitere Feld der Neureligionenforschung betrifft, erfolgt zeitnah ferner die Publikation des von mir zusammen mit Franz Winter bei Brill herausgegebenen Handbook of East Asian New Religious Movements.

Nahtoderfahrungen im Kontext zeitgenössischer Religiosität/Spiritualität
Birgit Heller

Viele religiöse Traditionen berichten über Jenseitsreisen von Schamanen/Schamaninnen, Religionsstiftern, Heiligen, visionären Menschen. Überlieferungen über diverse Himmels- und Höllenfahrten gibt es in einer erstaunlichen Fülle. Als eine moderne Variante dieser quer durch die Religionen verbreiteten Jenseitsreisen gelten (nicht nur) aus religionswissenschaftlicher Perspektive die Nahtod-Erfahrungen. Diese Erfahrungen sind weltweit verbreitet, das öffentliche Interesse ist seit Jahrzehnten groß und zunehmend. Die Inhalte der Nahtoderfahrungen variieren je nach Kultur, religiöser Zugehörigkeit und Biographie. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Erklärungsansätze, die bislang alles andere als kohärent sind. Es ist zunächst interessant zu analysieren, wie stark und deutlich der jeweilige weltanschauliche Hintergrund der einzelnen Forscher_innen eine „objektive“ Betrachtung des Phänomens prägt. Dieses Forschungsfeld ist geradezu ein Paradebeispiel für die Verschränkung von Wissenschaft und subjektiver Ideologie. So stehen einander die beiden extremen Einschätzungen der Nahtod-Erfahrungen als Hirngespinste oder als empirisch-objektive Beweise für ein Leben nach dem Tod gegenüber. Im Zentrum meines Zugangs steht der Ansatz Nahtod-Erfahrungen als mystische Erfahrungen zu betrachten, die die Alltagswirklichkeit transzendieren. Diese Erfahrungen belegen jedenfalls, dass Menschen in der Extremsituation der subjektiven Todesbegegnung relativ häufig in eine zutiefst religiös-ethische Dimension eintauchen, die ihre Einstellung zum Leben und zum Tod nachhaltig beeinflusst. Es ist evident, dass die Popularisierung des Phänomens dem modernen religiösen Feld und seinen charakteristischen Elementen entspricht (Hubert Knoblauch: Populäre Religiosität). In den religiösen Traditionen haben die detailreichen Beschreibungen der jenseitigen Welten meist die Funktion den Lebenden eine Orientierung zu geben, sie wachzurütteln und zu einem besseren Leben zu bewegen. Teilweise dienen die Jenseitsreisen auch jenen Toten, die sich in einem unerfreulichen Zustand befinden und der Hilfe bedürfen. Welche Bedeutungen und Funktionen das Thema Jenseitsreise in der Form der Nahtoderfahrung für heutige Menschen hat, ist eine spezielle Fragerichtung, der ich näher nachgehen möchte.


Perspektiven auf Esoterik und Politik
Julian Strube

Die politischen Dimensionen von Esoterik erforsche ich vor allem anhand dreier Schwerpunkte: 1) Der Kontext des kolonialen Indiens; 2) Sozialismus und andere dem linken Spektrum zugeordnete Strömungen; 3) völkische Bewegungen, Nationalsozialismus, Neonazismus und Rechtsextremismus, wozu auch gegenwärtige Beispiele zählen wie der Terroranschlag in Christchurch, faschistische Milizen in der Ukraine, US-amerikanische Phänomene wie QAnon und die Alt-Right, sowie grundlegende Themen wie Verschwörungstheorien oder Traditionalismus. In der Tat bestehen zwischen diesen augenscheinlich sehr verschiedenen Schwerpunkten bedeutende und zahlreiche Verbindungen und Überschneidungen, die sich insbesondere gut aus der Perspektive einer globalen Verflechtungsgeschichte erforschen lassen.

Religionen und Geschlecht
Birgit Heller

Die Kategorie „Gender“ ist in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Bestandteil der Forschung geworden, dies gilt auch für den Bereich der Religionen. Der Terminus Gender bezeichnet Geschlecht als soziales Konstrukt und ist im wissenschaftlichen Diskurs international verbreitet. Der deutsche Begriff Geschlecht hat den Vorteil sowohl das biologische als auch das soziale Geschlecht zu umfassen und entspricht der Erkenntnis, dass diese Dimensionen nicht voneinander zu trennen sind. Geschlecht und Religion hängen in mehrfacher Weise zusammen. Zum einen sind die religiösen Traditionen, Anschauungen, Symbole und Praktiken nicht geschlechtsneutral, sondern geschlechtsspezifisch geprägt. Weiters stehen die Geschlechterrollen, die Bilder, Stereotype, Ideale und das Selbstverständnis von Frauen und Männern im Rahmen einer bestimmten Kultur in der ständigen Wechselwirkung mit dem jeweiligen religiös-philosophischen Erbe. Die derzeit einflussreichsten Religionen sind überwiegend von einer heterosexuellen Normativität geprägt. Darüber hinaus ist die traditionelle Erforschung und Darstellung von Religionen selbst überwiegend durch eine einseitige androzentrische Perspektive gekennzeichnet. Der Komplex Religionen und Geschlecht umfasst ein großes Spektrum an Themen und Fragestellungen. Ich befasse mich nun seit mehr als 25 Jahren mit unterschiedlichsten Aspekten dieses breiten Forschungsfeldes. Einerseits mit religionsgeschichtlichen Detailfragen (wie etwa Thea-logie im Alten Orient; Frauenemanzipation im modernen Hinduismus; Zugang von Frauen zu religiösem Wissen im brahmanischen Hinduismus und im rabbinischen Judentum oder Transgender-Phänomene in Hindu-Traditionen), andererseits aber liegt das Schwergewicht auf der vergleichend-systematischen Perspektive. Im Fokus stehen die Zusammenhänge zwischen Religionen, Geschlechterrollen und Geschlechterordnungen; Körper und Körpersymboliken; Sexualität und sexuelle Gewalt; Geschlechtstransformationen in Form von körperlichen und symbolischen Phänomenen, aber auch die Fragen nach geschlechtsspezifischer Religiosität/Spiritualität oder nach geschlechtsspezifischer Gottessymbolik und den Bezügen zu sozialen Geschlechterrollen und -beziehungen. Zu diesen Themen liegen viele Publikationen vor, die ich in den nächsten Jahren in eine einführende, systematische Gesamtschau integrieren möchte.


Religion und Politik im modernen Asien
Julian Strube

Die Grundlage für meine Herangehensweise an das Verhältnis von Religion und Politik in Asien wurde vor allem durch meine rezente Forschung zu Tantra im 19. und 20. Jahrhundert gebildet. Darin stellte ich auch die Bedeutung des Themas für (Anti-)Kolonialismus, Unabhängigkeitsbestrebungen und Nationalismus heraus. Diesbezüglich spielte auch Esoterik eine entscheidende Rolle, wie auch die Publikationen zu Theosophy across Boundaries und New Approaches to the Study of Esotericism zeigen. Das Themenfeld birgt ein enormes Forschungspotential, das ich in Form von Kollaborationen weiter ausschöpfen möchte. Mein eigenes Augenmerkt richte ich dabei auf Südasien, strebe aber eine Zusammenarbeit mit Perspektiven auf den Raum vom Nahen Osten bis hin zu Ostasien an. Auch hier formt der Ansatz einer globalen Religionsgeschichte den konzeptionellen Rahmen, der allerdings systematisch weiter auf das Verhältnis von Religion und Politik ausgerichtet werden soll.