Forschungsschwerpunkte
Alternative, neue und asiatisch-diasporische Religiosität in Mitteleuropa und Österreich
Lukas K. Pokorny
Als gebürtiger Wiener (und seit Jahren Wahlniederösterreicher) bin ich naturgemäß fasziniert von der stetig wachsenden Vielfalt der religiösen Landschaft Österreichs. Um ein speziell dynamisches Segment dieses Forschungsbereichs – i.e. alternative, neue und asiatisch-diasporische Religiosität – in aller Sorgfalt zu erschließen, nutze ich eine reiche Palette an sozialwissenschaftlichen (qualitative Interviews etc.) und historischen Methoden. Mich interessieren dabei sowohl historische Formierungsprozesse als auch die gegenwärtige Situation jener Gruppen und Traditionen, weshalb meine Forschung als wesentlicher Beitrag zu einer längst überfälligen Sichtbarmachung der religiösen Diversität in der Geschichte und Gegenwart Österreichs fungiert. Im Zuge der historischen Annäherung, versuche ich auch speziell die Komponente einer europäischen Transnationalisierung von Missionstätigkeit ausgehend von Österreich zu erfassen. Eine Bestandsaufnahme der historischen Dimension beinhaltet gleichermaßen eine Auseinandersetzung mit Prozessen kultischer und doktrineller Glokalisierung, sowie deren Erscheinungsbild heute. Nebst entsprechender länderspezifischer Fallstudie bin ich um eine je individuelle Einbettung der spezifischen historischen wie doktrinellen Gemengelage im Lichte eines globalen und insbesondere herkunftsorientierten Gesamtkontexts bemüht. In der Begegnung mit den ausgewählten Bewegungen/Traditionen folge ich einer religionswissenschaftlichen Herangehensweise, mit der Absicht ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis zu schaffen in dem Forscher und Informant(en) sich auf Augenhöhe befinden. Die Forschung erfolgt zuvörderst in deskriptiver Form, anerkennt daher die enorme Wichtigkeit sich entsprechend dem religionswissenschaftlichen Selbstverständnis höchstmöglicher Objektivität, unsachlichen Werturteilen gegenüber dem Untersuchungsgegenstand zu enthalten. Meine Forschungsleistungen in diesem Bereich erscheinen hauptsächlich in der religionswissenschaftlichen Reihe Religion in Austria und werden daher verstärkt einer internationalen Leserschaft zugeführt.
Die Erfindung frühchristlicher anti-paganer Diskurse
Nickolas P. Roubekas
Diese Forschung zielt darauf ab, zu untersuchen wie christliche Autoren aus dem zweiten und dritten Jahrhundert auf pagane Religionstheorien reagierten respektive sich diese zu eigen machten um denjenigen Zeitgenossen zu trotzen, welche sich den traditionellen Religionen verschrieben. Anstelle der alten Prämisse, dass der christliche Diskurs nur eine theologische Antwort auf Angriffe seitens des "Heidentums" gewesen sei, basierend auf bloß theologischen Grundlagen, behaupte ich in diesem Projekt, dass die frühen christlichen Apologeten vielmehr daraufhin gearbeitet haben, den Glauben der christlichen Gemeinschaft zu stärken, indem sie sich dogmatischer und theoretischer Prinzipien bedienten, welche sowohl aus dem "paganen" wie dem neuformierten christlichen Milieu stammten. Auf diese Weise haben Autoren wie Justin der Märtyrer, Athenagoras von Athen, Klemens von Alexandrien und andere eine neue Verteidigungs- und Argumentationslinie entwickelt, die letztlich einer Theoretisierung von Religion als Kategorie näher stand, als die bloße Erhebung des Christentums als einzig "wahre" Religion.
Disziplinäre Bahnen der Erforschung antiker Religionen
Nickolas P. Roubekas
Meine gegenwärtige Forschung widmet sich der disziplinären Kluft, die im aktuellen Fachdiskurs zu antiken Religionen merklich ist. Einerseits wurde das Feld durch die detaillierten Arbeiten von Altphilologen und Althistorikern bereichert, andererseits hat die Vormachtstellung nordamerikanischer wie nordeuropäischer postmoderner Zugänge zur Kategorie "Religion" wichtige aber oft auch durchaus "gefährliche" Aspekte zutage gefördert, welche letztlich den gesamten Bereich Religionswissenschaft maßgeblich betreffen. Dennoch erscheinen diese beiden Forschungsfelder in ihren disziplinären Grenzen voneinander weitestgehend isoliert. Meine diesbezügliche Forschung siedelt sich daher am Schnittpunkt der beiden Disziplinen an, um eine methodische wie theoretische Wechselseitigkeit zu befördern, welche ob des Mangels an Interdisziplinarität bislang auf der Strecke blieb.
Esoterikforschung
Lukas K. Pokorny
Meine gegenwärtige Forschung konzentriert sich auf drei miteinander verflochtene Themen: (1) Die euro-amerikanische esoterische Rezeption Ostasiens; (2) Theosophie; und (3) millenarische Manifestationen der modernen Esoterik (hier speziell des New Age). In den letzten Jahren habe ich mich eingehender beschäftigt mit den Lehren des schottischen Esoterikers Benjamin Creme, UFO-Religiositäten, der esoterischen Rezeption von Maitreya und Konfuzius, sowie mit der Rolle des Daodejing in der Theosophischen Gesellschaft.
Interreligiöse/spirituelle Dimensionen von Palliative Care bzw. Spiritual Care
Birgit Heller
Palliative Care nimmt sich der körperlich-psychisch-sozial-spirituellen Dimensionen des schwer kranken/sterbenden Menschen und der betroffenen Angehörigen an. In den multireligiösen modernen westlichen Gesellschaften hat die christliche Krankenhausseelsorge ihren vormals unumstrittenen Platz verloren. Der christlichen Spiritualität kommt in der Hospizbewegung und in der Palliative Care dennoch eine große Bedeutung zu, nicht zuletzt weil die Hospizidee selbst stark christlich geprägt ist. Buddhistische Traditionen spielen in den westlichen Gesellschaften derzeit insofern eine besondere Rolle, als sie in vielen Fällen eine Brücke zwischen den Ebenen einer konfessionell gebundenen und einer individuellen Spiritualität zu bilden scheinen. Neben der Sterbebegleitung der institutionalisierten religiösen Traditionen sind jedoch auch zahlreiche Formen einer spirituellen Begleitung von Sterbenden entstanden, die sich außerhalb der organisierten Religionen befinden. Einen Spezialaspekt stellen die bislang wenig beachteten Dimensionen der spirituellen Begleitung und Unterstützung der Verstorbenen dar. Diese Totensorge ist in vielen Facetten in den religiösen Traditionen verankert, spielt aber auch in den modernen säkularen Gesellschaften eine Rolle Spiritual Care ist ein modernes Phänomen, das nicht nur in der palliativen Betreuung, sondern generell im Gesundheitsbereich relevant ist. Der Begriff wird sowohl für die konfessionelle christliche Seelsorge im modernen (häufig interreligiös erneuerten) Gewand, für die traditionelle Begleitung seitens verschiedener Religionen (wie Islam, Judentum etc.), aber auch die spirituelle Begleitung jenseits der etablierten Traditionen verwendet. Spiritual Care ist aus religionswissenschaftlicher Perspektive auch deshalb besonders interessant, weil sich hier die Entwicklungen der religiös-spirituellen Gegenwartskultur spiegeln. Ich habe eine breite Expertise in diesem Feld, weil ich 15 Jahre in einem Interdisziplinären Universitätslehrgang für Palliative Care unterrichtet und von den verschiedenen Professionen selbst viel gelernt habe sowie bis heute in der Aus- und Weiterbildung tätig bin. Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit diesem Bereich hat sich bereits in zahlreichen Publikationen niedergeschlagen. Einzelne Detailaspekte werde ich auch in Zukunft bearbeiten, zumal sich eine inhaltliche Brücke zum Themenbereich Nahtod-Erfahrungen spannen lässt, insofern diese Phänomene in ihrer Relevanz für Palliative/Spiritual Care in jüngster Zeit stärker wahrgenommen werden (Allan Kellehear; Simon Peng-Keller).
Millenarismus und neue religiöse Bewegungen Ostasiens
Lukas K. Pokorny
In diesem Forschungsbereich arbeite ich an der Schnittstelle von Religionswissenschaft und Ostasienwissenschaften respektive Millenarismusforschung und Neureligionenforschung. Speziell in jüngerer Zeit ist ein merklich wachsendes Interesse an jenem Knotenpunkt von Millenarismusforschung und Neureligionenforschung zu beobachten. Während die Bedeutung des Millenarismusaspekts – d.h., die Vorstellung eines allumfassenden, heilstiftenden Wandels der gegenwärtigen Weltordnung – neuer Religiosität Ostasiens im akademischen Diskurs zwar weitestgehend akzeptiert ist, mangelt es bisher an einer substantiellen systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Meine Forschung beabsichtigt diesem Desiderat zu entsprechen. Vor diesem Hintergrund soll demnach eine erste umfassende (systematisch-vergleichende) Analyse millenaristischer Dynamiken einer größeren Zahl eminenter neuer religiöser Bewegungen Ostasiens erfolgen, fußend auf sorgfältiger textkundlicher Bearbeitung originalsprachlicher Quellen (Japanisch, Koreanisch, Modern- und Klassischem Chinesisch sowie Vietnamesisch). Ich verstehe jene millenaristische Dimension als das doktrinelle Leitmotiv und den ideologischen Legitimierungsimpuls eines vielgestaltigen säkularen (i.e., sozialen, politischen und ökonomischen) Handelns neuer religiöser Bewegungen Ostasiens. Ausgehend von einer bestimmten Einfassung des Millenarismuskonzepts (grundgelegt durch die Arbeiten Norman Cohns/Yonina Talmon-Garbers und Catherine Wessingers), eruiere ich zunächst im Detail das je gruppenspezifische Millenarismusnarrativ, wobei die darin üblicherweise betont artikulierten ethnozentrischen Topoi speziell in Augenschein genommen werden. Die Analyse verhandelt ferner die distinkten soteriologischen Argumentationslinien, die gemeinhin gespeist sind durch die Morphologie des weltanschaulichen und soziokulturellen Entfaltungskontexts. Nach Abschluss einer ausreichenden Anzahl an Einzelfallstudien, beabsichtige ich das erfasste millenaristische Themenspektrum ostasiatischer Neureligiosität mit Rückgriff auf die theoretischen Überlegungen von Wessinger et al. („katastrophischer Millenarismus“, „avertiver Millenarismus“, „progressiver Millenarismus“) zu systematisieren, mit dem Ziel den typologischen Raster noch engmaschiger zu gestalten und mithin die Klassifizierung millenaristischer Ausdrucksarten zu verfeinern. Jene umfassende, philologisch fundierte, vergleichende Darstellung der millenaristischen Anatomie ostasiatischer Neureligiosität soll in der Folge auch einen wesentlichen theoretischen Beitrag für die Millenarismusforschung bedeuten. Meine Forschung in diesem Bereich soll im Allgemeinen den Wissensstand zu ostasiatischer Neureligiosität prägnant erweitern, auch eingedenk der Tatsache, dass zahlreiche Gruppierungen aufgrund ihrer anhaltenden Internationalisierung neben einer unzweifelhaften regionalen Einflusssphäre auch ein dezidiert globales Wirkmoment aufweisen. Diverse Artikel sowie eine Monographie sind zu diesem Forschungsgebiet in Vorbereitung. Was das breitere Feld der Neureligionenforschung betrifft, erfolgt zeitnah ferner die Publikation des von mir zusammen mit Franz Winter bei Brill herausgegebenen Handbook of East Asian New Religious Movements.
Nahtoderfahrungen im Kontext zeitgenössischer Religiosität/Spiritualität
Birgit Heller
Viele religiöse Traditionen berichten über Jenseitsreisen von Schamanen/Schamaninnen, Religionsstiftern, Heiligen, visionären Menschen. Überlieferungen über diverse Himmels- und Höllenfahrten gibt es in einer erstaunlichen Fülle. Als eine moderne Variante dieser quer durch die Religionen verbreiteten Jenseitsreisen gelten (nicht nur) aus religionswissenschaftlicher Perspektive die Nahtod-Erfahrungen. Diese Erfahrungen sind weltweit verbreitet, das öffentliche Interesse ist seit Jahrzehnten groß und zunehmend. Die Inhalte der Nahtoderfahrungen variieren je nach Kultur, religiöser Zugehörigkeit und Biographie. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Erklärungsansätze, die bislang alles andere als kohärent sind. Es ist zunächst interessant zu analysieren, wie stark und deutlich der jeweilige weltanschauliche Hintergrund der einzelnen Forscher_innen eine „objektive“ Betrachtung des Phänomens prägt. Dieses Forschungsfeld ist geradezu ein Paradebeispiel für die Verschränkung von Wissenschaft und subjektiver Ideologie. So stehen einander die beiden extremen Einschätzungen der Nahtod-Erfahrungen als Hirngespinste oder als empirisch-objektive Beweise für ein Leben nach dem Tod gegenüber. Im Zentrum meines Zugangs steht der Ansatz Nahtod-Erfahrungen als mystische Erfahrungen zu betrachten, die die Alltagswirklichkeit transzendieren. Diese Erfahrungen belegen jedenfalls, dass Menschen in der Extremsituation der subjektiven Todesbegegnung relativ häufig in eine zutiefst religiös-ethische Dimension eintauchen, die ihre Einstellung zum Leben und zum Tod nachhaltig beeinflusst. Es ist evident, dass die Popularisierung des Phänomens dem modernen religiösen Feld und seinen charakteristischen Elementen entspricht (Hubert Knoblauch: Populäre Religiosität). In den religiösen Traditionen haben die detailreichen Beschreibungen der jenseitigen Welten meist die Funktion den Lebenden eine Orientierung zu geben, sie wachzurütteln und zu einem besseren Leben zu bewegen. Teilweise dienen die Jenseitsreisen auch jenen Toten, die sich in einem unerfreulichen Zustand befinden und der Hilfe bedürfen. Welche Bedeutungen und Funktionen das Thema Jenseitsreise in der Form der Nahtoderfahrung für heutige Menschen hat, ist eine spezielle Fragerichtung, der ich näher nachgehen möchte.
Religionen und Geschlecht
Birgit Heller
Die Kategorie „Gender“ ist in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Bestandteil der Forschung geworden, dies gilt auch für den Bereich der Religionen. Der Terminus Gender bezeichnet Geschlecht als soziales Konstrukt und ist im wissenschaftlichen Diskurs international verbreitet. Der deutsche Begriff Geschlecht hat den Vorteil sowohl das biologische als auch das soziale Geschlecht zu umfassen und entspricht der Erkenntnis, dass diese Dimensionen nicht voneinander zu trennen sind. Geschlecht und Religion hängen in mehrfacher Weise zusammen. Zum einen sind die religiösen Traditionen, Anschauungen, Symbole und Praktiken nicht geschlechtsneutral, sondern geschlechtsspezifisch geprägt. Weiters stehen die Geschlechterrollen, die Bilder, Stereotype, Ideale und das Selbstverständnis von Frauen und Männern im Rahmen einer bestimmten Kultur in der ständigen Wechselwirkung mit dem jeweiligen religiös-philosophischen Erbe. Die derzeit einflussreichsten Religionen sind überwiegend von einer heterosexuellen Normativität geprägt. Darüber hinaus ist die traditionelle Erforschung und Darstellung von Religionen selbst überwiegend durch eine einseitige androzentrische Perspektive gekennzeichnet. Der Komplex Religionen und Geschlecht umfasst ein großes Spektrum an Themen und Fragestellungen. Ich befasse mich nun seit mehr als 25 Jahren mit unterschiedlichsten Aspekten dieses breiten Forschungsfeldes. Einerseits mit religionsgeschichtlichen Detailfragen (wie etwa Thea-logie im Alten Orient; Frauenemanzipation im modernen Hinduismus; Zugang von Frauen zu religiösem Wissen im brahmanischen Hinduismus und im rabbinischen Judentum oder Transgender-Phänomene in Hindu-Traditionen), andererseits aber liegt das Schwergewicht auf der vergleichend-systematischen Perspektive. Im Fokus stehen die Zusammenhänge zwischen Religionen, Geschlechterrollen und Geschlechterordnungen; Körper und Körpersymboliken; Sexualität und sexuelle Gewalt; Geschlechtstransformationen in Form von körperlichen und symbolischen Phänomenen, aber auch die Fragen nach geschlechtsspezifischer Religiosität/Spiritualität oder nach geschlechtsspezifischer Gottessymbolik und den Bezügen zu sozialen Geschlechterrollen und -beziehungen. Zu diesen Themen liegen viele Publikationen vor, die ich in den nächsten Jahren in eine einführende, systematische Gesamtschau integrieren möchte.