Forschung

 

Ausgehend von meiner Masterarbeit, einer Detailstudie zur Gottheit Vaiśravaṇa in Indien und Japan, in der die Frage nach dem wie der Darstellung Vaiśravaṇas in den einzelnen Etappen seiner Entwicklung im Zentrum stand, zielt mein momentanes Forschungsprojekt Vaiśravaṇa. Dämonischer Wächter und Herr der Reichtümer: Ikonographische Transformationen im Kulturtransfer zwischen Indien und dem sino-japanischen Raum, nun auf die Einordnung Vaiśravaṇas in einen größeren Sinnzusammenhang. Damit soll die Thematik um Bild und Religion aus religionswissenschaftlicher sowie kulturwissenschaftlicher Sicht gestärkt werden. Es soll nicht länger die Frage nach dem wie der Darstellung ausschlaggebend sein, sondern vielmehr jene, warum eine Gottheit auf bestimmte Weise abgebildet wird, welche Rückschlüsse daraus gezogen werden resp. welche Faktoren diese Art der Kunstproduktion beeinflussen können. Dies rückt die Thematik des Bild-Kontextes, des Bildgebrauchs und der Bildbedeutung ins Zentrum der Untersuchung. Vaiśravaṇa wird zum Exempel für die kulturwissenschaftliche Analyse des religiösen Bildes anhand zweier, großer, eng miteinander verlinkter Schwerpunkte: (1) die exemplarische Darstellung eines transkulturellen ikonographischen Transformationsprozesses anhand der Figur des Vaiśravaṇa; sowie (2) die Analyse des Bild-Kontextes und jener Faktoren, die diesen beeinflussen können.

Um sich dem Versuch der Definition eines „religiösen Bildes“ überhaupt erst widmen zu können, ist es zunächst vonnöten, sich der grundlegenden Frage „Was ist ein Bild?“ zuzuwenden. Die Auseinandersetzung mit bildphilosophischen Theorien im Rahmen meiner Forschung hat gezeigt, dass diese grundlegenden Frage nicht einfach zu beantworten und zudem von Vertretern der derzeit den Diskurs dominierenden semiotischen, phänomenologischen und anthropologischen Bildphilosophien kontrovers diskutiert wird. Dabei stellt sich heraus, dass die bildphilosophischen Theorien zwar sinnvolle Ansätze bereitstellen, jedoch keine eine umfassende Erklärung des Bildes für sich behaupten kann. Die Bildhermeneutik ist hier in zweifacher Hinsicht weiterführend: (1) Die Bildhermeneutik knüpft an semiotische Prämissen an und berührt sich mit den Wahrnehmungstheorien in der Frage um einen mehr am Rezipienten orientierten Zugang zum Bild. An jener Stelle, an der die Bildphilosophien zu kurz greifen, setzt die Bildhermeneutik mit ihren eigenen Überlegungen an und stellt die Relation von Bildwerk und Betrachter in ihren Mittelpunkt. Hierin ergibt sich auch ihre Bedeutung für religions- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen: Im Rahmen eines „religiösen Bildes“ wirken manche personale Kategorien, wie beispielsweise der individuelle Glaube, stärker, wodurch die Frage nach den Modi der Bildbetrachtung und der Rolle des Rezipienten umso bedeutender wird. Der Vorteil der bildhermeneutischen Methode besteht darin, dass sie diejenigen bildtheoretischen Ansätze am Bild selbst erprobt und nicht versucht, Bildphänomene einer bestimmten Lehrmeinung unterzuordnen. Sie verbindet Paradigmen der Semiotik und Wahrnehmungstheorie und gesteht ihnen beiden einen wichtigen Anteil an der Analyse von Bildern zu und berührt sich zudem mit kunstgeschichtlichen Ansätzen, im Besonderen mit Erwin Panofsky und Max Imdahl. (2) Die Bildhermeneutik stellt die Besonderheiten des Visuellen, das „nur Bildmögliche“ heraus. Die Bedeutung des Bildes wird in diesem selbst gesucht und die bildeigenen Sinnstrukturen gebührend berücksichtigt. Mit Hilfe der Bildhermeneutik lässt sich auch der oft getätigte Vorwurf des Eurozentrismus resp. die Kritik an einer allzu starken Anlehnung der Theoriekonstrukte an westliche Kunst umgehen. Da bildhermeneutische Theorien eine Erkenntnis im Bild suchen, können sie für Bilder aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten genutzt werden. Von der Bildhermeneutik aus lassen sich außerdem Brücken zum Forschungsfeld der Visual Culture und zur Analyse unterschiedlicher Blickkulturen schlagen, die Bildhandlungen, bildkonstitutive Praktiken sowie deren sozio-politische, kulturelle und historische Bedeutung in den Mittelpunkt rückt.

Der zweite Schwerpunkt meines Forschungsprojektes beschäftigt sich mit der Thematik des bereits erwähnten „Bild-Kontextes“ und damit Fragestellungen, die über die Grenzen einer immanenten Interpretation des Kunstwerkes hinausgehen. Mit Bezug auf die Darstellungen Vaiśravaṇas handelt es sich hierbei um (1) Kulturkontakte, inter- und intra-religiöse Begegnungen sowie grenzübergreifende Kultur- und Religionstransfers und (2) sozio-politische, kulturelle und historische Entwicklungen. Die Relevanz von Religions- und Kulturtransfer ergibt sich aus der Zugehörigkeit Vaiśravaṇas zum Pantheon einer Religion, deren Einflusssphäre sich über weite Teile Asiens erstreckte. Die vedisch-brahmanische Religion entwickelt sich zwischen dem 1. Jahrtausend und 500 v. u. Z. auf dem indischen Subkontinent ebenso wie buddhistische Traditionen, die sich von Indien aus über Zentralasien und die antiken Seidenstraßen nach China, Korea und im 6. Jhdt. schließlich nach Japan ausbreiten. Vaiśravaṇas Transfer von Indien nach Japan umfasst damit sowohl einen langen Zeitraum als auch eine große geographische Distanz. Auf dem Weg nach Ostasien kommt der ursprünglich indische Buddhismus mit verschiedenen Kultursphären, Religionen und Gesellschaften in Kontakt, die ihre Spuren in der religiösen Bewegung hinterlassen und diese mitformen. Die buddhistische Religion, die letztendlich Ostasien erreicht, ist keine gänzlich indische Bewegung mehr, sondern mit zahlreichen zentralasiatischen und chinesischen Elementen angereichert. Zur Untersuchung von Kulturkontakt sowie grenzübergreifendem Kultur- und Religionstransfer analysiere und adaptiere ich Theorien der Transfergeschichte, entangled history und der histoire croisée, die die diversen Verbindungen und Austauschbeziehungen zwischen den untersuchten Vergleichsobjekten in den Fokus rücken. Jene multiperspektivischen Ansätze betonen den historischen Prozesscharakter gegenseitiger Rezeption und Einflussnahme. Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Gesellschaften, Kulturen und Religionen kann Veränderungen auf den verschiedensten Ebenen einer Religion bedingen, z.B. in Bezug auf Rituale, Glaubensauffassungen oder eben Ikonographie. Bilder wirken zudem auf die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Schon Susanne Langer und Clifford Geertz verweisen auf die Bedeutsamkeit symbolischer Wirkungskräfte wie Religion und Kunst in der Entwicklung von Kultur. Und, wie David Morgan in seinem The Sacred Gaze bemerkt: „[…] visual culture refers to the images and objects that deploy particular ways of seeing and therefore contribute to the social, intellectual, and perceptual construction of reality” (2005: 27). Mehr noch interpretiert er den Sehvorgang als „[…] social medium, the means by which relations of power are arrayed and maintained among human beings” (Morgan 2012: 21). Dies trifft besonders auf Vaiśravaṇa zu, der, zumindest in Zeiten politischer Auseinandersetzungen in Japans Nara-Zeit und Mittelalter, zu einer bedeutenden Gottheit aufsteigt. Die Thematik der Verbindung von politischer Macht mit der Kraft von Bildern, die Kultur und Gesellschaft zu formen, stellt das Bild in einen weiteren kulturellen und sozialen Kontext. Kunst spiegelt ihre Umwelt wider und verändert sie, unterliegt sozio-politischen, kulturellen und historischen Entwicklungen und wird von denselben beeinflusst. Anknüpfend an die für Transferprozesse bedeutenden Kategorien „Eigen/Fremd“ und damit eng verbunden die Unterscheidung in inter- und intra-religiöse Begegnungen sowie jene der „Akteure“ können Fragen zu sozio-politischen, kulturellen und historischen Entwicklungen als Ursachen ikonographischer Transformationen erörtert werden.

Ziel des Forschungsprojektes ist es, die ikonographische Entwicklung der Figur des Vaiśravaṇa nachzuzeichnen und gleichzeitig ihre Bedingtheit durch nicht primär religiöse Faktoren aufzuzeigen. Zudem sollen Theorien, die einen Beitrag zur Erklärung ikonographischer Transformationsprozesse leisten können, analysiert und am Forschungsobjekt erprobt werden. So soll illustriert werden, wie ein solcher Prozess innerhalb einer Religion, deren Ausbreitung sich in einem breiten zeitlichen und geographischen Rahmen vollzog, aussehen kann und welche Rückschlüsse solche Vorgänge über die darin eingebundenen Religion bzw. Veränderungen im den entsprechenden Religionssystemen sowie den Kontakt der Kulturen zulassen. Anders als bei ikonographischen Analysen in einem rein kunstwissenschaftlichen Rahmen stehen bei dem vorliegenden Forschungsprojekt religionsgeschichtliche Themen und Fragen des Religionswandels im Mittelpunkt.