Forschung
In meiner Forschung verschränke ich historische, textkundliche, vergleichende, hermeneutische sowie sozialwissenschaftliche Methoden und suche dabei unterschiedliche Aspekte des Phänomens Religion in Geschichte und Gegenwart zu erschließen. Generell interessieren mich die Wechselwirkungen von Religion und Gesellschaft, die durch die Intersektionalität von Geschlecht, Klasse, Alter und Ethnizität geprägt sind. Meine speziellen Forschungsinteressen konzentrieren sich hauptsächlich auf drei Bereiche:
Religionen und Geschlecht
Die Kategorie „Gender“ ist in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Bestandteil der Forschung geworden, dies gilt auch für den Bereich der Religionen. Der Terminus Gender bezeichnet Geschlecht als soziales Konstrukt und ist im wissenschaftlichen Diskurs international verbreitet. Der deutsche Begriff Geschlecht hat den Vorteil sowohl das biologische als auch das soziale Geschlecht zu umfassen und entspricht der Erkenntnis, dass diese Dimensionen nicht voneinander zu trennen sind. Geschlecht und Religion hängen in mehrfacher Weise zusammen. Zum einen sind die religiösen Traditionen, Anschauungen, Symbole und Praktiken nicht geschlechtsneutral, sondern geschlechtsspezifisch geprägt. Weiters stehen die Geschlechterrollen, die Bilder, Stereotype, Ideale und das Selbstverständnis von Frauen und Männern im Rahmen einer bestimmten Kultur in der ständigen Wechselwirkung mit dem jeweiligen religiös-philosophischen Erbe. Die derzeit einflussreichsten Religionen sind überwiegend von einer heterosexuellen Normativität geprägt. Darüber hinaus ist die traditionelle Erforschung und Darstellung von Religionen selbst überwiegend durch eine einseitige androzentrische Perspektive gekennzeichnet. Der Komplex Religionen und Geschlecht umfasst ein großes Spektrum an Themen und Fragestellungen. Ich befasse mich nun seit mehr als 25 Jahren mit unterschiedlichsten Aspekten dieses breiten Forschungsfeldes. Einerseits mit religionsgeschichtlichen Detailfragen (wie etwa Thea-logie im Alten Orient; Frauenemanzipation im modernen Hinduismus; Zugang von Frauen zu religiösem Wissen im brahmanischen Hinduismus und im rabbinischen Judentum oder Transgender-Phänomene in Hindu-Traditionen), andererseits aber liegt das Schwergewicht auf der vergleichend-systematischen Perspektive. Im Fokus stehen die Zusammenhänge zwischen Religionen, Geschlechterrollen und Geschlechterordnungen; Körper und Körpersymboliken; Sexualität und sexuelle Gewalt; Geschlechtstransformationen in Form von körperlichen und symbolischen Phänomenen, aber auch die Fragen nach geschlechtsspezifischer Religiosität/Spiritualität oder nach geschlechtsspezifischer Gottessymbolik und den Bezügen zu sozialen Geschlechterrollen und -beziehungen. Zu diesen Themen liegen viele Publikationen vor, die ich in den nächsten Jahren in eine einführende, systematische Gesamtschau integrieren möchte.
Nahtoderfahrungen im Kontext zeitgenössischer Religiosität/Spiritualität
Viele religiöse Traditionen berichten über Jenseitsreisen von Schamanen/Schamaninnen, Religionsstiftern, Heiligen, visionären Menschen. Überlieferungen über diverse Himmels- und Höllenfahrten gibt es in einer erstaunlichen Fülle. Als eine moderne Variante dieser quer durch die Religionen verbreiteten Jenseitsreisen gelten (nicht nur) aus religionswissenschaftlicher Perspektive die Nahtod-Erfahrungen. Diese Erfahrungen sind weltweit verbreitet, das öffentliche Interesse ist seit Jahrzehnten groß und zunehmend. Die Inhalte der Nahtoderfahrungen variieren je nach Kultur, religiöser Zugehörigkeit und Biographie. Es gibt verschiedene wissenschaftliche Erklärungsansätze, die bislang alles andere als kohärent sind. Es ist zunächst interessant zu analysieren, wie stark und deutlich der jeweilige weltanschauliche Hintergrund der einzelnen Forscher_innen eine „objektive“ Betrachtung des Phänomens prägt. Dieses Forschungsfeld ist geradezu ein Paradebeispiel für die Verschränkung von Wissenschaft und subjektiver Ideologie. So stehen einander die beiden extremen Einschätzungen der Nahtod-Erfahrungen als Hirngespinste oder als empirisch-objektive Beweise für ein Leben nach dem Tod gegenüber. Im Zentrum meines Zugangs steht der Ansatz Nahtod-Erfahrungen als mystische Erfahrungen zu betrachten, die die Alltagswirklichkeit transzendieren. Diese Erfahrungen belegen jedenfalls, dass Menschen in der Extremsituation der subjektiven Todesbegegnung relativ häufig in eine zutiefst religiös-ethische Dimension eintauchen, die ihre Einstellung zum Leben und zum Tod nachhaltig beeinflusst. Es ist evident, dass die Popularisierung des Phänomens dem modernen religiösen Feld und seinen charakteristischen Elementen entspricht (Hubert Knoblauch: Populäre Religiosität). In den religiösen Traditionen haben die detailreichen Beschreibungen der jenseitigen Welten meist die Funktion den Lebenden eine Orientierung zu geben, sie wachzurütteln und zu einem besseren Leben zu bewegen. Teilweise dienen die Jenseitsreisen auch jenen Toten, die sich in einem unerfreulichen Zustand befinden und der Hilfe bedürfen. Welche Bedeutungen und Funktionen das Thema Jenseitsreise in der Form der Nahtoderfahrung für heutige Menschen hat, ist eine spezielle Fragerichtung, der ich näher nachgehen möchte.
Interreligiöse/spirituelle Dimensionen von Palliative Care bzw. Spiritual Care
Palliative Care nimmt sich der körperlich-psychisch-sozial-spirituellen Dimensionen des schwer kranken/sterbenden Menschen und der betroffenen Angehörigen an. In den multireligiösen modernen westlichen Gesellschaften hat die christliche Krankenhausseelsorge ihren vormals unumstrittenen Platz verloren. Der christlichen Spiritualität kommt in der Hospizbewegung und in der Palliative Care dennoch eine große Bedeutung zu, nicht zuletzt weil die Hospizidee selbst stark christlich geprägt ist. Buddhistische Traditionen spielen in den westlichen Gesellschaften derzeit insofern eine besondere Rolle, als sie in vielen Fällen eine Brücke zwischen den Ebenen einer konfessionell gebundenen und einer individuellen Spiritualität zu bilden scheinen. Neben der Sterbebegleitung der institutionalisierten religiösen Traditionen sind jedoch auch zahlreiche Formen einer spirituellen Begleitung von Sterbenden entstanden, die sich außerhalb der organisierten Religionen befinden. Einen Spezialaspekt stellen die bislang wenig beachteten Dimensionen der spirituellen Begleitung und Unterstützung der Verstorbenen dar. Diese Totensorge ist in vielen Facetten in den religiösen Traditionen verankert, spielt aber auch in den modernen säkularen Gesellschaften eine Rolle Spiritual Care ist ein modernes Phänomen, das nicht nur in der palliativen Betreuung, sondern generell im Gesundheitsbereich relevant ist. Der Begriff wird sowohl für die konfessionelle christliche Seelsorge im modernen (häufig interreligiös erneuerten) Gewand, für die traditionelle Begleitung seitens verschiedener Religionen (wie Islam, Judentum etc.), aber auch die spirituelle Begleitung jenseits der etablierten Traditionen verwendet. Spiritual Care ist aus religionswissenschaftlicher Perspektive auch deshalb besonders interessant, weil sich hier die Entwicklungen der religiös-spirituellen Gegenwartskultur spiegeln. Ich habe eine breite Expertise in diesem Feld, weil ich 15 Jahre in einem Interdisziplinären Universitätslehrgang für Palliative Care unterrichtet und von den verschiedenen Professionen selbst viel gelernt habe sowie bis heute in der Aus- und Weiterbildung tätig bin. Die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit diesem Bereich hat sich bereits in zahlreichen Publikationen niedergeschlagen. Einzelne Detailaspekte werde ich auch in Zukunft bearbeiten, zumal sich eine inhaltliche Brücke zum Themenbereich Nahtod-Erfahrungen spannen lässt, insofern diese Phänomene in ihrer Relevanz für Palliative/Spiritual Care in jüngster Zeit stärker wahrgenommen werden (Allan Kellehear; Simon Peng-Keller).