Forschung


In meiner Forschung verschränke ich sozialwissenschaftliche, historische sowie textkundliche Methoden und suche dabei unterschiedliche Aspekte des Phänomens Religion in Geschichte und Gegenwart zu erschließen. Im Blickpunkt meines Interesses steht einerseits die doktrinelle Dimension von Religion, sowohl auf kanonischer als auch auf "Graswurzelebene", andererseits die historische Translokation und (glokale) Formierung religiöser Bewegungen/Traditionen. Drei Forschungsbereichen gilt aktuell meine besondere Aufmerksamkeit:
 

Millenarismus und neue religiöse Bewegungen Ostasiens

In diesem Forschungsbereich arbeite ich an der Schnittstelle von Religionswissenschaft und Ostasienwissenschaften respektive Millenarismus- und Neureligionenforschung. Speziell in jüngerer Zeit ist ein merklich wachsendes Interesse an jenem Knotenpunkt von Millenarismus- und Neureligionenforschung zu beobachten. Während die Bedeutung des Millenarismusaspekts – d.h., die Vorstellung eines allumfassenden, heilstiftenden Wandels der gegenwärtigen Weltordnung – neuer Religiosität Ostasiens im akademischen Diskurs zwar weitestgehend akzeptiert ist, mangelt es bisher an einer substantiellen systematischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Meine Forschung beabsichtigt diesem Desiderat zu entsprechen. Vor diesem Hintergrund soll demnach eine erste umfassende (systematisch-vergleichende) Analyse millenaristischer Dynamiken einer größeren Zahl eminenter neuer religiöser Bewegungen Ostasiens erfolgen, fußend auf sorgfältiger textkundlicher Bearbeitung originalsprachlicher Quellen (Japanisch, Koreanisch, Modern- und Klassischem Chinesisch sowie Vietnamesisch). Ich verstehe jene millenaristische Dimension als das doktrinelle Leitmotiv und den ideologischen Legitimierungsimpuls eines vielgestaltigen säkularen (i.e., sozialen, politischen und ökonomischen) Handelns neuer religiöser Bewegungen Ostasiens. Ausgehend von einer bestimmten Einfassung des Millenarismuskonzepts (grundgelegt durch die Arbeiten Norman Cohns/Yonina Talmon-Garbers und Catherine Wessingers), eruiere ich zunächst im Detail das je gruppenspezifische Millenarismusnarrativ, wobei die darin üblicherweise betont artikulierten ethnozentrischen Topoi speziell in Augenschein genommen werden. Die Analyse verhandelt ferner die distinkten soteriologischen Argumentationslinien, die gemeinhin gespeist sind durch die Morphologie des weltanschaulichen und soziokulturellen Entfaltungskontexts. Nach Abschluss einer ausreichenden Anzahl an Einzelfallstudien, beabsichtige ich das erfasste millenaristische Themenspektrum ostasiatischer Neureligiosität mit Rückgriff auf die theoretischen Überlegungen von Wessinger et al. ("katastrophischer Millenarismus", "avertiver Millenarismus", "progressiver Millenarismus") zu systematisieren, mit dem Ziel den typologischen Raster noch engmaschiger zu gestalten und mithin die Klassifizierung millenaristischer Ausdrucksarten zu verfeinern. Jene umfassende, philologisch fundierte, vergleichende Darstellung der millenaristischen Anatomie ostasiatischer Neureligiosität soll in der Folge auch einen wesentlichen theoretischen Beitrag für die Millenarismusforschung bedeuten. Meine Forschung in diesem Bereich soll im Allgemeinen den Wissensstand zu ostasiatischer Neureligiosität prägnant erweitern, auch eingedenk der Tatsache, dass zahlreiche Gruppierungen aufgrund ihrer anhaltenden Internationalisierung neben einer unzweifelhaften regionalen Einflusssphäre auch ein dezidiert globales Wirkmoment aufweisen. Diverse Artikel sowie eine Monographie sind zu diesem Forschungsgebiet in Vorbereitung. Was das breitere Feld der Neureligionenforschung betrifft, erfolgte im Frühjahr 2018 die Publikation des von mir zusammen mit Franz Winter bei Brill herausgegebenen Handbook of East Asian New Religious Movements.

Leben, Altern, Tod und Überempirisches im Neokonfuzianismus

In diesem Forschungsbereich widme ich mich einem Feld, dass bisher nur verhältnismäßig begrenzte Aufmerksamkeit im Fachdiskurs erhalten hat, namentlich die neokonfuzianische Lesart zu Themen wie Leben, Altern, Tod und das "Überempirische", sowie die daraus folgenden Implikationen für eine "konfuzianische Spiritualität". In einem ersten Schritt konzentriert sich meine Forschung auf den umfangreichen Lehrkorpus eines der bedeutsamsten Exponenten des (koreanischen) Neokonfuzianismus, Yi I (Yulgok, 1536–1584). Seine Doktrin (yulgokhak 栗谷學) ist in vielerlei Hinsicht repräsentativ für den Höhepunkt Chéng-Zhū-konfuzianischer Systematisierungsanstrengungen. Meine diesbezügliche Forschungstätigkeit erfolgt in zwei Stufen. Zunächst widme ich mich der Erstellung einer kritischen Edition, Übersetzung und Annotation einschlägiger Schriften Yulgoks. Hiernach beabsichtige ich eine systematische Auseinandersetzung mit ausgewählten Themen auf Basis des zuvor bearbeiteten Textfundus. In einem zweiten Schritt ist geplant die Forschung auf andere Vertreter neokonfuzianischen Denkens auszuweiten um einen wesentlich umfassenderen Pool an Texten und doktrinellen Schlagrichtungen erfassen zu können. Die annotierten Übersetzungen, eingebettet im Rahmen von Parallelkorpora, werden ausführlich eingeleitet und kontextualisiert. Der auf diese Weise zugänglich gemachte Diskurs ermöglicht weitergehende komparative Studien und eröffnet durchaus praktische Implikationen, etwa mit Blick auf eine konfuzianisch-geprägte Gesundheitspflege. Nach neokonfuzianischer Tradition entwickelt sich ein Argumentationsstrang in diesem Themenkreis gemeinhin in Konfrontation mit Vorstellungen und Praktiken weltanschaulicher Mitbewerber, einschließlich Buddhismus, Daoismus oder Volksreligiosität wie beispielhaft musok. Das Erschließen der neokonfuzianischen Verständnislage gegenüber lebensweltlich so zentralen Themen wie Leben, Altern und Tod aber auch der Umgang mit dem "Überempirischen" dient nicht allein einer besseren Kenntnisbildung neokonfuzianischer Sinnidentität, sondern offenbart neue Blickwinkel auf die emische Wahrnehmung und Kritik vis-à-vis dem umgebenden „heterodoxen“ Sinnangebot. Dies ermöglicht sonach eine Rekonstruktion des weltanschaulichen und kultischen Milieus – wenngleich mit apologetischen Vorzeichen – jenseits der selbstdemarkierten Orthodoxie. Zurzeit arbeite ich an diversen annotierten Übersetzungen, u.a. von Yulgok’s Suyo ch’aek 壽夭策 (Traktat über Langlebigkeit und frühzeitigen Tod), Sasaeng kwisin ch’aek 死生鬼神策 (Traktat über Tod und Leben, Totengeister und Geister), Sinsŏn ch’aek 神仙策 (Traktat über "Unsterbliche") und Ŭiyak ch’aek 醫藥策 (Traktat über Medizin).

Asiatische Diaspora-, Alternativ- und Neureligion in Mitteleuropa und Österreich

Als gebürtiger Wiener (und seit einiger Zeit Wahlniederösterreicher) bin ich naturgemäß fasziniert von der stetig wachsenden Vielfalt der religiösen Landschaft Österreichs. Um ein besonders dynamisches Segment dieses Forschungsbereichs – d.h. asiatische Diaspora-, Alternativ- und Neureligion – in aller Sorgfalt zu erschließen, nutze ich eine reiche Palette an sozialwissenschaftlichen (qualitative Interviews etc.) und historischen Methoden. Mich interessieren dabei sowohl historische Formierungsprozesse als auch die gegenwärtige Situation jener Gruppen und Traditionen, weshalb meine Forschung einen Beitrag zu einer Sichtbarmachung der religiösen Diversität in der Geschichte und Gegenwart Österreichs darstellt. Im Zuge der historischen Annäherung, versuche ich auch speziell die Komponente einer europäischen Transnationalisierung von Missionstätigkeit ausgehend von Österreich zu erfassen. Eine Bestandsaufnahme der historischen Dimension beinhaltet gleichermaßen eine Auseinandersetzung mit Prozessen kultischer und doktrineller Glokalisierung, sowie deren Erscheinungsbild heute. Nebst der entsprechenden länderspezifischen Fallstudie bin ich um eine je individuelle Einbettung der spezifischen historischen wie doktrinellen Gemengelage im Lichte eines globalen und insbesondere herkunftsbezogenen Gesamtkontexts bemüht. In der Begegnung mit den ausgewählten Bewegungen/Traditionen folge ich einer religionswissenschaftlichen Herangehensweise, mit der Absicht ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis zu schaffen in dem sich Forscher und Informant(en) auf Augenhöhe begegnen. Die Forschung erfolgt zuvörderst in deskriptiver Form, anerkennt daher die enorme Wichtigkeit sich entsprechend dem religionswissenschaftlichen Selbstverständnis höchstmöglicher Objektivität, unsachlichen Werturteilen gegenüber dem Untersuchungsgegenstand zu enthalten. Meine Forschungsleistungen in diesem Bereich erscheinen hauptsächlich in der von mir in Zusammenarbeit mit Hans Gerald Hödl herausgegebenen religionswissenschaftlichen Reihe Religion in Austria. In bisherigen Projekten habe ich mich intensiv mit dem Inayati-Orden, Kōfuku no Kagaku 幸福の科学 ("Happy Science"), Sōka Gakkai 創価学会, der Koreanischen Kirche Wien (Pienna Hanin Kyohoe 비엔나한인교회) und, speziell, der Vereinigungsbewegung befasst. In Vorbereitung sind zurzeit Artikel zu FIGU (Freie Interessengemeinschaft für Grenz- und Geisteswissenschaften und Ufologiestudien), Naikan 内観, Nipponzan Myōhōji 日本山妙法寺 (mit Isabelle-Prochaska-Meyer), koreanischen protestantischen Gemeinschaften (mit Sang-Yeon Loise Sung), Share International, Śrī Śrī Rādhā Govinda Gaudīyā Maṭh (mit Birgit Heller und Hans Gerald Hödl), Wŏnhwado und die Vereinigungsbewegung.