Religionswissenschaft an der Universität Wien

 

Im Jahr 1955 wurde ein eigener Lehrstuhl für Religionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien eingerichtet: Professor Wilhelm Keilbach (1908–1982), Theologe und Religionspsychologe, reichte im Laufe des Jahres 1955 den Antrag auf Errichtung eines religionswissenschaftlichen Institutes ein und noch im selben Jahr wurde dieser Antrag vom Bundesministerium genehmigt; zugleich wurde Professor Keilbach zum Institutsvorstand bestellt. Im folgenden Frühjahr 1956 nahm er überraschend einen Ruf als Professor für Systematische Scholastische Philosophie an die Ludwig-Maximilians-Universität in München an. Von 1958 bis 1965 leitete in der Folge Walter Kornfeld (1917–1988), Professor für alttestamentliche Bibelwissenschaft, das Institut für Religionswissenschaft. Ab 1963 bekam dieser Unterstützung von Adolf Holl (1930–2020), der sich an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien habilitierte und fortan zahlreiche Vorlesungen auch am Institut für Religionswissenschaft hielt. 1968 wurde der Philosoph und Theologe Hubertus Mynarek (geb. 1929) zum Professor für Religionswissenschaft ernannt. Als er im November 1972 als erster deutschsprachiger Theologieprofessor aus der Kirche austrat (und schließlich auch heiratete), nahm seine universitäre Laufbahn ein abruptes Ende. 1973 wurde sowohl Dozent Holl als auch Professor Mynarek wegen Differenzen mit der katholischen Kirche die Lehrbefugnis entzogen.

Nach einer darauf folgenden längeren Vakanz wurde im Sommersemester 1974 der Afrikanist und Religionsethnologe aus der Schule Wilhelm Schmidts, Anton Vorbichler (1921–1999; sein Lehrer war Paul Schebesta, 1887–1967), Mitglied des Steyler Missionsordens, von der Universität Hamburg als Professor für Religionswissenschaft nach Wien berufen. Gleichzeitig unterrichtete Professor Vorbichler auch im Missionshaus St. Gabriel (Mödling). Seine wissenschaftliche Tätigkeit widmete er der Erforschung der religiösen Traditionen Zentralafrikas, der Theorie des Opfers sowie der Aufzeichnung und Auswertung nilo-saharanischer Sprachen (zentralsudanische Gruppe: Mangbetu, Efe usw.). Krankheitsbedingt kam es 1985 zu seiner vorzeitigen Emeritierung. Die Zeit seiner Emeritierung wollte Professor Vorbichler der weiteren Ausarbeitung seiner Aufzeichnungen zentralafrikanischer Sprachen widmen, was er aber nur mehr für eine sehr kurze Zeit und bedingt realisieren konnte. Sein sprachwissenschaftlicher Nachlass befindet sich  im Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und harrt der Aufarbeitung. Während der folgenden Vakanz übernahm Thomas Immoos (1918–2001), Professor an der Sophia Universität, Germanist und Ostasienwissenschaftler, eine Gastprofessor (1. März 1986 bis 28. Februar 1987) am Institut. Im Dezember 1986 schließlich wurde der Religionsphilosoph und Religionswissenschaftler Johann Figl (geb. 1945) als Professor an das Institut für Religionswissenschaft berufen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Säkularisierung und Fundamentalismus, Buddhismus im Westen, neue religiöse Bewegungen, Mystik der Religionen sowie insbesondere die Atheismus- und Nietzsche-Forschung (besonders erwähnenswert: die Nietzsche-Edition Nietzsche Werke: Kritische Gesamtausgabe, erschienen im de Gruyter-Verlag).

Am 29. November 1996 gründete Professor Figl die Österreichische Gesellschaft für Religionswissenschaft (ÖGRW) in Wien. Ein wichtiges Anliegen der neu gegründeten Gesellschaft war die Einrichtung eines eigenen Studienganges für Religionswissenschaft an der Universität Wien. Die Umsetzung dieses Zieles ist vor allem dem Engagement und der administrativen Ausdauer von ao. Professor Hans Gerald Hödl (geb. 1959) zu verdanken (seit 1989 Mitarbeiter am Institut für Religionswissenschaft, ebendort ao. Professor seit 2009). Durch das letztlich 1999 eingeführte individuelle Diplomstudium war erstmalig in Österreich ein Vollstudium des Faches Religionswissenschaft möglich. Mit der Herausgabe des Handbuch Religionswissenschaft: Religionen und ihre zentralen Themen (Göttingen/Innsbruck 2003), an dem alle MitarbeiterInnen des Instituts und renommierte FachvertreterInnen aus dem In- und Ausland beteiligt waren, konnte Professor Figl die Aufmerksamkeit der Fachwelt und einer interessierten Öffentlichkeit  auf die Wiener Religionswissenschaft lenken. Im Juni 2013 beendete Professor Figl mit der Abschiedsvorlesung „Spirituelle Lebensorientierungen: Erfahrungen in der  Begegnung mit Religionen“ seine universitäre Laufbahn. Im September 2013 wurde er emeritiert.

Zur 50-Jahr-Feier der Religionswissenschaft an der Universität Wien fand 2005 eine Festveranstaltung statt. Die wissenschaftlichen Vorträge wurden unter der Herausgeberschaft Professor Figls publiziert (Religionswissenschaft: Interdisziplinarität und Interreligiosität, Münster 2007). Mit der Emeritierung Professor Figls war der Philosoph und Religionswissenschaftler ao. Professor Karl Baier (geb. 1954, ab 2009 ao. Professor und Mitglied des Instituts) bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2020 Institutsvorstand; stellvertretende Institutsvorständin ist ao. Professorin Birgit Heller (geb. 1959, Mitglied des Instituts seit 1985 und ao. Professorin seit 1999). Seit 2019 ist Professorin Heller außerdem Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Religionswissenschaft. Professor Hans Gerald Hödl war von 2008 bis 2018 in der Studienprogrammleitung der Fakultät tätig und fungierte die letzten Jahre als Studienprogrammleiter und Vizedekan für Lehre. Im Mai 2016 wurde der Religionswissenschaftler Lukas K. Pokorny von der Universität Aberdeen als Professor für Religionswissenschaft berufen. Seit 2018 ist er Vizestudienprogrammleiter und Vizedekan für Forschung und Internationales und seit 2020 Institutsvorstand. 2019 wurde er zudem zum Vize-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Religionswissenschaft berufen.